Die Frage nach dem zahlenmäßigen Verhältnis von Großstadt und „Land“, also übertrieben zugespitzt dem Teil unserer Mitbürger, der in Städten und Dörfern kleiner als 100 Tsd. Einwohner lebt, ist mir in den letzten Jahren immer wieder mal durch den Kopf geschossen. Und am letzten Wochenende habe ich dann endlich mal genauer hinschauen können – und ich war überrascht. Denn wenn man – wie ich und viele Menschen in meinem Umfeld – überwiegend in Großstädten lebt, verschieben sich doch irgendwann die Maßstäbe, vor allem was die Infrastruktur betrifft.
Denn für uns ist es heute ganz selbstverständlich, auf ein Auto verzichten zu können, vielfache Einkaufsmöglichkeiten vorzufinden – im Lebensmittel- ebenso wie im Bekleidungs- oder Elektronik- und Gadgetbereich, vieles davon fußläufig oder mit wenigen Tramstationen erreichbar. Man kann bequem, schnell und meistens pünktlich mit dem Zug in andere Großstädte reisen. Und es gibt viele Kinos, oftmals verschiedene Internet- und Telefonanbieter, mobile Hochgeschwindigkeitsnetze, Kabelfernsehen und ein großes Angebot in Sachen Kultur, Musik und Gastronomie – wenn man in einer Großstadt lebt.
Aber früher oder später werden wir eingenordet: Wenn wir Freunde besuchen, die nur 10-15 Kilometer vom Stadtzentrum wohnen. Und ohne Auto keine Chance haben, sich zu bewegen – oder einzukaufen. Bei denen oft Amazon und DHL die einzige Chance zur Teilhabe an all diesem modernen Kommerzrummel bieten, statt schnell in einen Saturn oder einen Media-Markt zu gehen (und das wird eher schlimmer, je weiter „draußen“ man lebt) und bei denen DSL-light (mit 384 kb/s, das ist ungefähr EDGE-Geschwindighkeit beim Smartphone) das schnellste der Online-Gefühle sein kann. Und so passt es wunderbar, dass es in der gelegentlich eigenwilligen Welt der Wikipedia eine hierzu passende Seite gibt: Die Liste der Großstädte in Deutschland – inklusive Einwohnerzahlen. Und aus den dortigen Informationen habe ich die folgende Grafik gebaut:
Hier zeigt sich, wie groß der Großstadtanteil in welchen Bundesländern ist. Es gibt Ausreißer (wie NRW, wo 44% der 17 Millionen Einwohner in Großstädten leben), aber es zeigt sich recht schnell, dass der überwiegende Teil auf dem Land lebt. Und das ist auch kein Wunder. Denn zusammengenommen leben nur 30 % aller Deutschen in einer Großstadt. Und das hätte ich so wirklich nicht gedacht.
Mein Instinkt sagt mir, dass vor allem Twitter-Nutzer eher in Großstädten zu finden sind – hier gibt es eher die Gelegenheit, andere Twitterer zu finden und auch durchaus mehr Infrastruktur und auch Themen. Vor allem würde es aber erklären, warum die innerhalb der Filterblase bei Twitter ziemlich relevanten digitalen Themen (#nsa, #snowden, #leistungsschutzrecht) außerhalb der Großstädte offenbar überhaupt kein Thema waren – zumindest nicht, was die Wahlentscheidung betrifft. Denn gerade auf dem Land wurde die CDU gewählt, die diesem Thema wohl am weitesten ausweichen wollte und konnte. Natürlich ist das keine präzise Analyse, aber ein durchaus auffälliger Zusammenhang – oder nicht? Möglicherweise findet man „auf dem Land“ einfach etwas weniger Interesse an den neuen Medien vor oder sieht es nicht als relevant an.
Oder es liegt daran, dass mobiles Twittern mit EDGE einfach keinen Spaß macht. Wer weiß das schon…
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»Wenn die Welt untergeht, so ziehe ich nach Mecklenburg, denn dort geschieht alles 50 Jahre später.« wird Bismark nachgesagt.
Und ich glaube auch, dass die Adoption-Rate in der Stadt überschätzt wird, weil man die Nachbarn so gut ignorieren kann.
Netzpolitik wird vermutlich noch ein paar Jahre Nischenthema bleiben und für Wahlentscheidungen halte ich Duecks Modell der Menschenbilder von der #rp13 für die beste Erklärung.
An vielen Tagen in den letzten Monaten – eigentlich sogar Jahren – habe ich sogar den Eindruck, dass Netzpolitik für immer ein unwichtiges Nischenthema bleiben wird 😥
Ob nun Großstadt oder Land – ich denke, Netzthemen sind schön, aber die meisten Menschen machen ihre Wahlentscheidung doch eher von grundlegenderen Fragen abhängig: Wer sorgt besser für Arbeit? Wer sorgt für Kita-Plätze? Wer hat welche Steuer- oder Sozialpläne? oder gleich: Welcher Kandidat ist mir sympathischer?
Natürlich hast du recht – hier gibt es eine Vielzahl von Faktoren bei der Wahlentscheidung. Aber ich glaube schon, dass die Bedeutung von Themen auch viel mit dem „Erfahrungshorizont“ zu tun. Und da gibt es eine kleine Welt innerhalb und eine riesige außerhalb der Social Web-Blase. Vermutlich sind wir insgesamt einfach noch weit weniger „online“, als wir als tendenzielle Poweruser für möglich halten…
Durch das beschriebene Stadt-Land-Gefälle ergeben sich auch zwei Entwicklungsgeschwindigkeiten. Es entsteht Reibung, wenn man von „der einen in die andere Welt“ wechselt oder mit Menschen zusammenarbeitet, die die jeweils andere Erfahrung nicht teilen.
Definitiv – um so wichtiger scheint es mir zu sein, im Auge zu behalten, dass es eben auch eine andere, nicht großstädtische Realität gibt…
Ganz prinzipiell muss ich sagen das Netzpolitik für mich ein nachrangiges Thema ist und wenn das bei mir so ist…