Huffington Post: Mut zum Experiment

von Stefan Evertz am 06.10.13 um 21:58 Uhr |

Prehistorisch Dorp #7Es gibt wohl kaum ein Thema, das die deutschen Medienlandschaft und auch die „Blogosphäre“ weiterhin so beschäftigt wie der in wenigen Tagen anstehende Start der deutschen Ausgabe der Huffington Post (siehe z.B. T3N). Und um es vorweg zu sagen: Auch ich bin gefragt worden, ob ich dort bloggen möchte. Und ich habe zugesagt, gerne sogar.

Die Zielsetzung für das Projekt „Huffington Post auf deutsch“ ist dabei sicherlich ehrgeizig (wenn auch nicht unrealistisch), wie in einem (absolut lesenswerten) Artikel bei der Berliner Zeitung neben zahlreichen HIntergrundinfos zu lesen ist:

Innerhalb von fünf Jahren soll die Mischung aus Nachrichtenportal und Blog-Plattform von Null in die Top Fünf der deutschen Nachrichtenportale vordringen und auf einer Höhe mit etablierten Medienmarken wie Spiegel, Welt oder Focus stehen.
[…]
Die Huffington Post versucht damit in eine Zielgruppe vorzudringen, die sich primär in ihren sozialen Netzwerken informieren. „Wenn es gut läuft“, sagt Matthes, „werden wir Stern und Spiegel Leser abnehmen – aber relevanter ist, dass wir die Leute kriegen, die den Nachrichtenportalen sowieso abhanden gekommen sind.“

Hinter den Kulissen wird gerade auf Hochtouren gearbeitet, um die so wichtige technische und personelle Infrastruktur rechtzeitig verfügbar zu haben – davon ist fest auszugehen. Und auch wenn wir in der digitalen Welt an Beta-Software gewöhnt sind, darf man bei einer solchen grossangelegten Migration vom amerikanischen Mutterhaus auf die deutsche Ausgabe sicherlich auch mit kleineren Kinderkrankheiten rechnen, auch wenn das schnell auszumerzen ist. Problematischer könnte da die vor kurzem bekannt gewordene Verzögerung beim Wechsel vom designierten Chefredakteur Sebastian Matthes zur Huffington Post sein, da er offenbar nicht rechtzeitig aus seinem Vertrag bei der Wirtschaftswoche herauskommt.

Und es gibt noch andere großen Herausforderungen in diesem Projekt, denn es gilt die vielen Akteure zu bändigen und zu betreuen – neudeutsch auch „Community Management“ genannt. Und das heißt eben nicht nur, via Facebook und Twitter „mit der Community“ in Kontakt zu kommen und zu bleiben, sondern auch, all die Blogger an Bord zu holen bzw. auch dort zu behalten. In der so wichtigen Startphase scheinen die Social Media-Aktivitäten der Huffington Post noch etwas zögerlich anzulaufen und auch noch nicht immer ganz den Ton zu treffen. Und zumindest bis jetzt scheinen sich auch noch keine „Gesichter“ in Sachen Social Media abzuzeichnen, wo gerade bei einem solchen Projekt eine Personifizierung beim Community-Aufbau helfen könnte.

Alles in allem also einige knifflige Aspekte, die durchaus mittel- und langfristige Komplikationen zur Folge haben könnten. Und genau das ist auch einer der Gründe, warum ich mich da gerne beteilige. Denn ich bin gespannt, wie das Experiment gelingt, und will gerne versuchen, meinen Teil dazu beizutragen. Denn eine Schlacht, die man nicht schlägt, kann man nicht gewinnen (Danke an Sun Tsu für das Zitat). Die Vorherrschaft der Bedenkenträger scheint mir heutzutage ein immer größeres Problem zu sein – es wird immer mehr abgewogen, nochmals geprüft und getestet, statt einfach zu machen.

Ein weiterer Grund ist die bislang erkennbare „gute Nachbarschaft„. Neben den Texten von einem Großteil der bisher bekannt gewordenen Blogger sehe ich meine Texte gerne. Natürlich gilt es, künftig genau hinzuschauen, wer da noch alles dazustösst – mein Interesse an Bad bzw. Dumb Neighborhood hält sich in Grenzen…

Unabhängig vom Experiment an sich finde ich auch die Kernidee spannend, endlich eine große deutsche Meinungsplattform aufzubauen, denn etwas vergleichbares gab es in Deutschland in meinen Augen bisher nicht. Es gibt große Mehrautoren-Blogs, die kommerziell ausgerichtet sind und eigentlich Magazin-Charakter haben und auch durchaus ernstzunehmende Gruppenblogs, deren Struktur, Stabilität und Konstanz leider sehr wackelig sind. Letztendlich hängt es dann aber doch an einzelnen Akteuren, dass solche Konstrukte funktionieren. Die deutschsprachige Huffington Post könnte hier wirklich etwas Neues werden. Und auch wenn ich immer wieder Stimmen lese, dass das doch eigentlichen die deutschen Blogger hinbekommen würden bzw. sollten: Hier birgt die ordnende und bündelnde Hand eines Verlages eine deutlich größere Erfolgschance.

Und zu guter Letzt bin ich einfach neugierig auf das Redaktionssystem, das all das stemmen und ermöglichen soll – eine erhöhte Technikaffinität kann ich dann doch nicht verleugnen 😉

Und nun bin ich einfach auf den Start am Donnerstag gespannt. Und bis dahin lohnt sicherlich noch die Lektüre des Gastbeitrags von Sebastian Matthes, in dem er bei Lousy Pennies weitere Gründe genannt hat, warum es sich lohnen könnte, für die Huffington Post zu bloggen. Und auch die bei T3N gesammelten Stimmen von Journalisten und Bloggern sind lesenswert (Teil 1, Teil 2, Teil 3).

Photo credit: Thomas van de Vosse via photopin cc

7 Gedanken zu „Huffington Post: Mut zum Experiment

  1. Pingback: Die Huffington Post als Schrecken für die deutsche Medienlandschaft

  2. Benjamin

    Guter, unaufgeregter Beitrag. Das ganze wird noch einiges durcheinanderwirbeln.

    Eine Anmerkung: Das mit dem großen, deutschen Meinungsplattform versucht ja auch The European ein bisschen anders aber auch erfolgreich. Ich finde aber trotzdem, dass das durchaus vergleichbar ist. Nur ist es beim der HuffPost so, dass da rein theoretisch jeder eine Meinung vorausschicken kann. Die Leitartikel beim European machen bekannte Gastautoren, die dann wieder von jedem diskustiert werden können.
    Die HuffPost startet zwar in eine Nische, die ist aber nicht unbedingt unbesetzt. Auf jeden Fall wird es sehr spannend!

  3. Pingback: Neue Hoffnung Huffington : pressekompass

  4. Harald

    Noch etwas meiner Meinung nach Lesenswertes zum Thema in der New York Times:
    http://www.nytimes.com/2013/10/27/opinion/sunday/slaves-of-the-internet-unite.html?ref=opinion&_r=0

    Zusammengefasst wird es immer mehr zum Trend, Künstler und Kulturschaffende in „Reichweite“ zu bezahlen. Das erscheint okay, wenn man danach an zahlende Kunden kommt. Aber durch die sich ausbreitende Kostenlos-Kultur geschieht dies immer seltener. Man verdirbt anderen Kulturschaffenden und Redakteuren die Preise.

    Und so spannend das ganze Experiment auch sein mag: Wenn die HuffPo ein Qualitätsmedium mit Qualitätsredakteuren sein will, mit denen sie viel Geld verdienen möchte, dann sollte sie auch bereit sein diese Schreiber und Schreiberinnen dafür zu bezahlen. Und sei es nur, damit auch die Redakteure bei der Konkurrenz Aussichten auf anständige Löhne haben.

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