Spätestens seit Dezember 2005 bewegt das Thema „Forenhaftung“ zahlreiche Foren (-Betreiber) sowie diverse Blogger. Im Kern dreht sich die ganze Diskussion um die Frage, ob ein Forenbetreiber auch für die Inhalte haftet, die von Benutzern des jeweiligen Forums eingestellt werden. Die bisherige Rechtsprechung war davon ausgegangen, das ein Forenbetreiber erst dann für diese Inhalte hafte, wenn er hiervon Kenntnis habe.
Eine einstweilige Verfügung gegen den Heise-Verlag bzw. das entsprechende Urteil (Az. 324 O 721/05) hatte hierzu am 5.12.05 abweichend festgestellt, dass ein Forenbetreiber unter bestimmten Umständen auch vor der Kenntnis haftbar bzw. verpflichtet sei, die Beiträge der Benutzer vor Veröffentlichung zu prüfen.
Hinweis: Eine ausführliche Zusammenfassung der „Geschehnisse“ vom Dezember 2005 bis Anfang Mai 2006 findet sich im Artikel „Heise-Urteil: Erste Nutzniesser der vermuteten Forenhaftung (Update)„)
OLG Düsseldorf: Keine Überwachungspflicht
Am 07.06.06 kam dann ein durchaus vergleichbarer Fall vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf zur Verhandlung (Az. I-15 U 21/06; Urteilstext siehe www.netlaw.de), bei dem erfreulicherweise die bisherige Rechtsprechung erneut bestätigt wurde (siehe auch www.golem.de:
Betreiber eines Meinungsforums müssen ihre Foren nicht nach rechtswidrigen Inhalten durchsuchen oder diese dahingehend überwachen. Erst wenn ein Forenbetreiber Kenntnis von rechtsverletzenden Äußerungen hat, muss er diese löschen, urteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf und hob eine anderslautende Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf auf.
Bei www.heise.de waren weitere Details zu lesen:
In einem Forum war eine Person mehrfach beleidigt worden und gab das dem Betreiber zur Kenntnis. Dieser sperrte nach eigenen Angaben die Beiträge, wollte aber nicht per Unterlassungserklärung versichern, dass solche oder ähnliche Beleidigungen künftig nicht wieder vorkommen können. Daraufhin ließ der in seinen Rechten Verletzte eine entsprechende einstweilige Verfügung erwirken, die vom Landgericht Düsseldorf bestätigt wurde.
Alles in allem zeichneten sich also durchaus vielversprechende Perspektiven für die Berufungsverhandlung des Heise-Verlages (siehe auch www.heise.de[2]) am 22.08.06 vor dem Oberlandesgericht Hamburg. Und dann kam die mündliche Verhandlung…
OLG Hamburg: Ãœberwachungspflicht nach erstmaliger Kenntnis
Der Heise-Verlag wertet das Urteil als „Teilerfolg“ und berichtet unter www.heise.de[3] (siehe auch www.golem.de[2] sowie Verhandlungs-„Protokoll“ unter www.buskeismus.de):
Zwar wies das Gericht die Berufung zurück, schränkte aber die Heise auferlegten Kontrollpflichten für die Webforen von heise online erheblich ein. Nach den Ausführungen des Senats in der mündlichen Verhandlung muss der Verlag ein Artikelforum nur dann überwachen, wenn er konkret auf dort bereits stattgefundene Rechtsverstöße hingewiesen wurde. Im Unterschied dazu hatte das Landgericht Hamburg de facto die Vorabüberwachung aller heise-online-Foren verlangt.
Auch diesmal hat sich das Thema schnell verbreitet und wird nicht nur positiv aufgenommen, wie die folgenden Zitate zeigen:
Udo Vetter berichtet – mit ungewöhnlich zurückhaltender Wortwahl – unter www.lawblog.de:
Das Oberlandesgericht Hamburg hat das “Heise-Urteil†des Landgerichts vermutlich etwas entschärft. Zwar wurde die Berufung des Verlags gegen die Entscheidung des Landgerichts verworfen; Heise hat also verloren. Dennoch soll die mündliche Urteilsbegründung Grund zur Entwarnung geben. Danach bestehe eine Kontrollpflicht nur, wenn der Forenbetreiber “konkret auf dort bereits stattgefundene Rechtsverstöße hingewiesen wurdeâ€.
Jan-Frederik Timm schreibt unter www.computerbase.de:
Hätte das erste Urteil Heise Online (und durch seine Funktion als Präzidenzfall unter Vorlage gewisser Voraussetzungen quasi jeden deutschen Forenbetreiber) dazu verpflichtet, sämtliche Forenbeiträge vorab auf etwaige Rechtsverstöße hin zu überprüfen, geht das OLG nun mit der vor dem Heise-Urteil allgemein gültigen Rechtsprechung und den Paragraphen 6 und 9 des Mediendienststaatsvertrages konform. Eine Pflicht zur Kontrolle des Forums entsteht somit nur dann, wenn der Betreiber konkrete Kenntnis von Rechtsverstößen erlangt
Die Ãœberlegungen von Ewald T. Riethmüller verstehe ich dagegen so, dass nicht erst „bereits stattgefundene Rechtsverstöße“ für eine Prüfpflicht erforderlich sind (siehe auch www.r-archiv.de):
Eine Prüfpflicht des Heise- Verlages soll nur dann – vor Veröffentlichung – eines Posting bestehen, wenn auf Grund des Artikels, des Themas oder der im Artikel genannten Personen oder Firmen – mit rechtswidrigen Postings zu rechnen ist.
Bei www.fixmbr.de bewertet man die aktuelle rechtliche Situation durchaus kritisch:
Die gefährlichen Kernfragen für Forenbetreiber und Blogger bleiben bestehen, ohne dass es eine befriedigende Lösung gefunden wurde: Wenn z. B. auf F!XMBR eine gerechtfertigte Löschung eines Kommentares gefordert wurde, ich dem nachgekommen bin, kann ich in Zukunft sofort abgemahnt werden – weil es haben dann ja bereits Verstöße stattgefunden, genauso wie im Heise-Fall. Weiter: Wo beginnt ein Artikel? Ist dieser schon einer, bei dem ich damit rechnen muss, dass kontrovers diskutiert wird – somit eine Moderation aller Kommentare verpflichtend ist?
Dieses Urteil ist mit Sicherheit kein Erfolg, wie es Heise verkaufen will, es ist und bleibt ein Desaster, die unsichere Rechtslage bleibt, im Gegenteil – das erste Mal wurde eine Abmahnung bestätigt, ohne vorherige Kenntnisnahme.
Und Martin Röll fragt sich unter www.roell.net:
Danach „muss der [Betreiber] ein Artikelforum nur dann überwachen, wenn er konkret auf dort bereits stattgefundene Rechtsverstöße hingewiesen wurde“.
Die praktische Konsequenz darauf wäre (so rate ich), dass eine direkte Abmahnung für einen Weblogkommentar unzulässig wäre: Man müsste erst auf einen Verstoß hinweise und Gelegenheit zur Behebung geben, erst dann würde der Betreiber haften. Ist das so? Oder hat die grundlegende Haftungsfrage nichts mit der Abmahnfähigkeit zu tun?
Die Antwort von Michael Seidlitz per Kommentar (siehe auch www.roell.net[2]) macht zumindest etwas Hoffnung:
Danach gäbe es zunächst keine kostenpflichtige Abmahnung für das Inkenntnissetzen über aufgetretene Rechtsverstöße, sondern nur ein kostenloses „notice-and-take-down“-Verfahren, weil eine Haftung des Foren-Betreibers erst ab Kenntnis in betracht käme
Alles in allem also durchaus widersprüchliche Einschätzungen, so dass die wohl in „in wenigen Tagen“ vorliegende schriftliche Begründung mit Spannung erwartet werden darf. Vielleicht lichtet sich ja dann der Nebel… 🙁
Und noch jemand wird warten müssen: Die ursprünglich ebenfalls für den 22.08.06 vorgesehene Verhandlung der „negativen Feststellungsklage“ von Martin Geuß vor dem Landgericht Hamburg (siehe „Rechtsfragen 1: Gegen Abmahnung von Foren und Blogs„) wurde kurzfristig „verschoben“. Der neue Termin steht noch nicht fest (Quelle: www.supernature-forum.de).
Update 28.08.06, 21:52 Uhr:
Wie www.heise.de[4] berichtet, liegt sie nun also vor, die schriftliche Urteilsbegründung (siehe auch PDF-Datei des Urteils unter www.heise.de[5]; Dateigröße: 2,25 MB):
In Anlehnung an die vom Bundesgerichtshof festgelegten Grundsätze zu Live-Sendungen im Fernsehen gelte „für ein Internetforum, bei dessen Nutzung nicht einmal der Eindruck erweckt wird, der Beitrag gebe die Meinung des Forumsbetreibers wieder, dass schon im Hinblick auf die garantierte Freiheit der Meinungsäußerung auch eine Haftung als Störer im Regelfall nicht in Betracht kommt, soweit lediglich der Vorgang des Einstellens des Beitrags durch Dritte in Frage steht.“
Der Verlag sei seiner Verpflichtung nachgekommen, bei Kenntnis von Rechtsverletzungen innerhalb weniger Stunden die beanstandeten Postings zu löschen. Allerdings obliege ihm als Betreiber in der Folge „die Pflicht, die Beiträge des konkreten Forums laufend daraufhin zu überprüfen, ob sie erneute Aufrufe der beanstandeten Art enthielten“. Die Kontrolle eines einzelnen Artikelforums von heise online hält das Gericht für zumutbar, wenn weitere Rechtsverletzungen drohten. […]
Allgemein gesprochen hält der OLG-Senat „eine spezielle Ãœberwachungspflicht des Betreibers dann für angemessen, wenn dieser entweder durch sein eigenes Verhalten vorhersehbar rechtswidrige Beiträge Dritter provoziert hat, oder wenn ihm bereits mindestens eine Rechtsverletzungshandlung von einigem Gewicht im Rahmen des Forums benannt worden ist, und sich die Gefahr weiterer Rechtsverletzungshandlungen durch einzelne Nutzer bereits konkretisiert hat“.
Udo Vetter fasst das Urteil unter www.lawblog.de[2] etwas kompakter zusammen:
Insgesamt ergibt sich also folgende Abstufung:
- Forenbetreiber haften nicht für Kommentare, sofern klar ist, dass die Kommentare von Dritten stammen und nicht unbedingt die Meinung des Forenbetreibers wiedergeben.
- Forenbetreiber müssen die Kommentare nicht vorsorglich kontrollieren, es sei denn, sie haben rechtswidrige Äußerungen „provoziert“.
- Werden rechtswidrige Äußerungen beanstandet, muss der Forenbetreiber künftig von sich aus kontrollieren, ob es zu erneuten Verstößen kommt.
Update 29.08.06, 06:33 Uhr:
Arne Trautmann fasst das Urteil unter www.law-blog.de zusammen und betont dabei besonders den „Einzelfallcharakter“:
Das OLG scheint mir ein recht vernünftiges und nachvollziehbares Haftungskonzept darzulegen. Nachschauen muss der Forenbetreiber, wenn er Äußerungen selbst provoziert oder durch vorangegangene Ereignisse gewarnt ist. Er muss nur da (in dem Unterforum / Thread) nachschauen, wo Rechtsverletzungen zu erwarten sind und er muss als Gewerblicher eher auf der Hut sein als ein Hobby-Forenbetreiber.[…]
Im Ergebnis lässt es sich trefflich streiten, was das neuerliche Urteil für Auswirkungen haben wird. Letztlich haben LG und OLG beide nur einen – wenn auch prominenten – Einzelfall entschieden, wie das Gericht nun einmal tun (müssen). Die Kriterien sind vom BGH vorgegeben und vernünftig. Wann konkret eine Prüfpflicht verletzt ist, wird auch in Zukunft von Sachverhalt zu Sachverhalt unterschiedlich beurteilt werden. Weitere Aufreger sind mithin durchaus zu erwarten.
Update 29.08.06, 10:52 Uhr:
Unter dem Titel „Heise-Urteil: Generelle Vorabkontrolle nein, aber …“ berichtet nun auch www.golem.de[3]:
…kontroverse Artikel ziehen erweiterte Pflichten nach sich
So langsam glätten sich die Wogen in Sachen Forenhaftung und Vorabkontrolle, für die das Landgericht Hamburg mit einem umstrittenen Urteil gesorgt hatte. Zwar lehnte das Oberlandesgericht Hamburg die Berufung des Heise-Verlags in dieser Sache ab, eine Pflicht zur generellen Vorabkontrolle von Forenbeiträgen sieht das Gericht aber nicht.
Warum muss ich bei „kontroversen Artikel“ sofort an das eine oder andere Blog denken 😕
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