Schutz von E-Mails: Unklare Perspektiven (Update)

von Stefan Evertz am 05.03.06 um 14:57 Uhr |

Das Bundesverfassungsgericht hat am 02.03.06 in einem schon jetzt vielbeachteten Urteil entschieden, dass „das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Herrschaftsbereich des Teilnehmers gespeicherte Telekommunikationsverbindungsdaten schützt“, wie in der entsprechenden Pressemeldung zu lesen ist (www.bundesverfassungsgericht.de[1]):

Die Verfassungsbeschwerde einer Richterin, die sich gegen die Anordnung der Durchsuchung ihrer Wohnung wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen gewandt hatte, war erfolgreich. Im Rahmen der Durchsuchung war unter anderem auf die im Computer der Beschwerdeführerin gespeicherten Daten sowie auf die Einzelverbindungsnachweise ihres Mobilfunktelefons Zugriff genommen worden.[…]
Zwar sei nicht das Fernmeldegeheimnis verletzt, da nach Abschluss des Übertragungsvorgangs im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers gespeicherte Verbindungsdaten nicht vom Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG umfasst würden. Die Daten seien jedoch durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gegebenenfalls durch das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung geschützt. Danach darf auf die beim Kommunikationsteilnehmer gespeicherten Daten nur unter bestimmten Voraussetzungen und insbesondere nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugegriffen werden.


Vollständiger Urteilstext: www.bundesverfassungsgericht.de[2]

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries wertete das Urteil positiv (siehe Pressemeldung unter www.bmj.bund.de):

Das Bundesverfassungsgericht hat damit die Rechtsauffassung der Bundesregierung bestätigt und Rechtssicherheit in einer für die Strafverfolgungsbehörden wesentlichen Frage hergestellt. Ich begrüße sehr, dass damit bewährte Ermittlungsmethoden weiterhin angewendet werden können. Die Entscheidung stellt klare und eindeutige Maßstäbe auf, anhand derer man zuverlässig beurteilen kann, wann der Zugriff auf solche Daten rechtlich zulässig ist

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar begrüßte die Stärkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (www.bfdi.bund.de):

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht den besonderen Schutz von Verkehrsdaten der Telekommunikation, die ein Teilnehmer auf seinem Computer gespeichert hat, nicht auf das Fernmeldegeheimnis gestützt. Jedoch hat es im Hinblick auf den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gefordert, dass bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines staatlichen Zugriffs die erhöhte Schutzwürdigkeit dieser Daten besonders zu berücksichtigen ist. Damit setzt das Bundesverfassungsgericht in erfreulicher Weise seine Rechtsprechung zur Stärkung der Persönlichkeitsrechte fort.

Weitere Informationen zur Informationellen Selbstbestimmung unter de.wikipedia.org.

Insgesamt ließen mich die „offiziellen“ Meldungen etwas irritiert zurück, da die Konsequenzen für den staatlichen Umgang mit persönlichen bzw. personenbezogenen Daten kaum beleuchtet wurden. Die weitere Recherche bestätigte die etwas diffuse Informationslage.

Bei www.heise.de war z.B. zu lesen:

Beobachter, die von dem Urteil eine klare Signalwirkung auch auf die Frage der Klärung der Verhältnismäßigkeit der von Brüssel beschlossenen Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten erwarteten, dürften sich zunächst enttäuscht sehen.
Das Urteil hält zunächst nur recht allgemein fest: „Bei dem Vollzug von Durchsuchung und Beschlagnahme – insbesondere beim Zugriff auf umfangreiche elektronisch gespeicherte Datenbestände – sind die verfassungsrechtlichen Grundsätze zu gewährleisten, die der Senat in seinem Beschluss vom 12. April 2005 entwickelt hat.“ Hierbei sei vor allem darauf zu achten, dass die Gewinnung „überschießender, für das Verfahren bedeutungsloser Daten nach Möglichkeit vermieden wird“.
Die Beschlagnahme sämtlicher auf einer Computerfestplatte gespeicherter Daten oder der gesamten Datenverarbeitungsanlage allein zum Zweck der Erfassung von Verbindungsdaten, etwa des E-Mail-Verkehrs, werde regelmäßig nicht erforderlich sein. Vielmehr dürfte im Regelfall wegen des von vornherein beschränkten Durchsuchungsziels die Durchsicht der Endgeräte vor Ort genügen.

Udo Vetter formulierte es da schon deutlich klarer (www.lawblog.de):

Löschen, löschen, löschen. Oder zumindest verschlüsseln. So lautet das Fazit aus der heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage, ob auf Computern gespeicherte E-Mails und sonstige Kommunikationsdaten vom Fernmeldegeheimnis geschützt sind. Nein, sagen die Richter in ihrer Entscheidung. Sobald die Kommunikation beendet ist, endet auch das Fernmeldegeheimnis. Dann schützen den Betroffenen nur noch das Grundrecht auf Unverletzlichkeit seiner Wohnung sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
[…]
Mit anderen Worten: Jeder ist selbst dafür verantwortlich, die Daten in seiner Privatsphäre vor dem Zugriff Dritter, auch der Ermittlungsbehörden, zu schützen. Löschen und Verschlüsseln sind möglich – und uneingeschränkt erlaubt.

An dieser Stelle passt dann wohl auch der Hinweis auf PGP, eine Software zur Verschlüsselung:
de.wikipedia.org[2]

Ralf Bendrath bewertete die Stuation unter www.netzpolitik.org durchaus ähnlich wie Udo Vetter:

Einerseits ist das Urteil enttäuschend, weil laut BVerfG nun klargestellt ist, dass bereits übermittelte Emails nicht mehr unter den Schutz des Fernmeldegeheimnisses fallen und damit auch bei leichten Straftaten beschlagnahmt werden können.[…]
Andererseits haben die Richter auch festgestellt, dass für Emails und andere Kommunikationsdaten (SMS etc.), die man selber noch irgendwo gespeichert hat, der Schutz der Wohnung und der informationellen Selbstbestimmung gelten. Daher müsse hier besonders der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Anstatt ganze Rechner mitzunehmen müsse die Polizei also die Festplatten vor Ort sichten und nur die wirklich benötigten Daten kopieren.

Bei www.blogamt.de fand ich eine Textstelle, die gut auf die unklare „Nachrichtenlage“ passte:

Es geht um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den Schutz gespeicherter E-Mails bei Hausdurchsuchungen. Und es geht um die Notwendigkeit Nachrichten immer aus mehreren Quellen zu beziehen.
Das ZDnet macht die Sache mit dem Titel „E-Mails fallen nicht unter Fernmeldegeheimnis“ klar. Die Redakteure sehen hier eine Einschränkung der Bürgerrechte. Ganz anders beim vormaligen Rotfunk (ob der links orientierten Berichterstattung) ARD. Die Tagessschau meint:“Mail- und Handydaten bleiben geschützt„.

Ein weiterer Bericht unter www.heise.de[2] verwies zumindest deutlicher auf den vermutlich bestehenden Konflikt zwischen der Vorratsspeicherung und dem Urteil:

Ganz eindeutige Worte fanden die Richter auch zu der von Brüssel beschlossenen pauschale Vorratsspeicherung von Verbindungs- und Standortdaten im Telekommunikationsbereich nicht. Silke Stokar, innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, und ihr Kollege im EU-Parlament, Cem Özdemir, sind sich aber sicher, dass die geplante Richtlinie laut dem Urteil „in Konflikt mit dem deutschen Grundgesetz steht“. Bürger dürften nicht pauschal unter Verdacht gestellt werden.

Weitere Artikel zum Thema:

Die Konsequenzen dieses Urteils werden wohl erst im Alltag deutlich werden. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Vorratsspeicherung wird darüber hinaus wohl erst nach einem weiteren Verfahren bzw. Urteil geklärt sein.

Unabhängig von der rechtlichen Situation bezweifle ich allerdings nach wie vor, ob die Vorratsspeicherung überhaupt „Sinn“ macht. Was nützen denn riesige Datensammlungen, wenn keine „erfolgreiche“ Auswertung stattfindet? Mir wäre nicht bekannt, das durch die verstärkte Datensammlung, die nach dem „11. September“ praktiziert wurde, den Fahndern auch nur ein Terrorist ins Netz gegangen wäre (siehe auch de.wikipedia.org[3]).

Sicherlich können die Auswertungsprozesse bzw. die verwendeten Softwareanwendungen weiter optimiert werden, wie nicht zuletzt auch die Ermittlungspannen im Fall „Stephanie“ zeigen. Wie Martin Röll in seinem lesenswerten Artikel „Stephanie, Informationssysteme und Tagging“ erläutert, liegt hier nach wie vor das strukturelle Kernproblem bei der „Nutzung“ solcher Daten (siehe auch www.roell.net/weblog):

Es hilft nichts, bei technischen Systemen immer weiter zu versuchen, den es bedienenden Menschen zu perfektionieren. Viel sinnvoller, ökonomischer und effektiver ist es, das technische System zu optimieren.
[…]
Daran, dass das Mädchen so spät gefunden wurde, ist nicht der Beamte schuld, der das System falsch bedient hat. Verantwortlich sind die, die das System konzipiert und gebaut haben. Ein Informationssystem, das darauf beruht, dass seine Benutzer perfekt sind, ist untauglich.

Und auch wenn im Fall „Stephanie“ eine bessere Auswertung der vorliegenden Daten höchstwahrscheinlich eine schnellere Klärung bzw. Rettung zur Folge gehabt hätte, halte ich es dennoch für höchst problematisch, vor diesem Hintergrund die Vorratsspeicherung zu realisieren. Es bleibt zu hoffen, dass sich die oben zitierte Auffassung der Grünen durchsetzen wird – auch wenn ich da skeptisch bleibe 🙁

(u.a. via www.golem.de[1], www.golem.de[2])

Update 07.03.06, 09:33 Uhr:
Ein jetzt bekanntgewordenes (und noch nicht rechtskräftiges) Urteil eines Verwaltungsgerichts hat sich ebenfalls mit dem Thema „Datenschutz“ im Zusammenhang mit Fahndungsaktivitäten auseinandergesetzt, wie unter www.golem.de[3] nachzulesen ist (siehe auch www.heise.de[3]):

Sein Haus wurde durchsucht und sein Computer beschlagnahmt.

Obwohl die Staatsanwaltschaft keinen Grund für die Auswertung des Computers sah, erstellte die Polizei eine Kopie der Festplatte und führte eine inhaltliche Kontrolle durch, um künftige Straftaten zu verhindern. Die Maßnahme brachte jedoch keine Ergebnisse.

Dagegen klagte der Castorgegner wegen Verletzung des Datenschutzes und das Verwaltungsgericht gab der Klage statt. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass das Auslesen und Kopieren der Festplatte rechtswidrig war.

Scheinbar vertrat man dort also eine durchaus ähnliche Auffassung wie das Bundesverfassungsgericht…