Gestern mittag stutzte ich bei einer Meldung auf www.golem.de:
Ein offenbar nach weiteren Einnahmequellen suchender deutscher Webdesigner mahnt gerade aus Tschechien Webseiten-Betreiber ab, welche die etwa seit dem Jahr 2000 bekannte freie Video-Editing-Anwendung VirtualDub verlinken bzw. nennen. Auffällig ist dabei der geringe geforderte Schadensersatz, dass das Schreiben nicht von einem Anwalt kommt und die Wortmarke erst seit Ende Mai 2006 angemeldet ist.
Ein Beispiel der Abmahnung findet sich übrigens unter www.computerbase.de.
Irgendwie fühlte ich mich da ein wenig an die rechtlichen Querelen rund um die umstrittene Wortmarke „Explorer“ erinnert, die stets zu Ungunsten des damaligen „Markeninhabers“ verliefen (siehe z.B. www.heise.de im Jahr 2000):
Die Firma Symicron hat erneut einen Prozess um die Benutzung des Namens „Explorer“ verloren. Symicron hatte den Berliner Provider Speedlink abgemahnt, weil dieser auf seinen Webseiten einen Link zu dem Programm „FTP-Explorer“ anbot. Das Landgericht Berlin sah darin keine Verletzung der „Explorer“-Wortmarke von Symicron.
Eine durchaus sinnvoll klingende Empfehlung zum weiteren Vorgehen fand ich dann unter www.mein-parteibuch.de:
Im Gegensatz zu Golem empfehle ich jedoch nicht unbedingt die Einschaltung eines Anwaltes zur Abwehr der Forderung. Wenn Herr Kliemen nämlich leider nicht zum Ersatz der Kosten in der Lage sein sollte, dann bleiben die Empfänger des Briefes auf den Kosten für den Anwalt sitzen und haben erst durch die Beauftragung des Anwaltes einen tatsächlichen finanziellen Schaden. Ein freundliches Schreiben an Herrn Kliemen, dass man nicht gedenkt, sich abzocken zu lassen, und nun auf eine Entschuldigung von Herrn Kliemen wartet und Wiedergutmachung für den Ärger verlangt, dürfte meines Erachtens vollkommend ausreichend sein, um den Anspruch abzuwehren.
Einige Stunden später kam dann über www.golem.de[2] die „Entwarnung“ auf Basis einer Einschätzung zweier Berliner Rechtsanwälte:
Denn „VirtualDub“ ist ein seit Jahren bekanntes freies Programm zum Aufnehmen und Bearbeiten von Videos. Spätestens seit der „PowerPoint“-Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 24. April 1997 stehe fest, dass Computerprogramme dem Werktitelschutz unterliegen. Das bedeute, dass der Titel eines Computerprogrammes als solcher (ohne weitere Eintragung) einen Titelschutz genießt.
[…]
„So wird Herr Kliemen seinen Kuraufenthalt in Karlsbad wohl selbst bezahlen müssen und nicht die Fangemeinde der freien Videobearbeitungssoftware“, so die Anwälte. „Als Tipp für diese(!) Abmahnung kann nur geraten werden, die Unterlassungserklärung nicht zu unterzeichnen und Herrn Kliemen die Freiheit zu lassen, sein vermeintliches Recht gerichtlich durchzusetzen. Sollte allerdings eine einstweilige Verfügung gegen einen Seitenbetreiber ergehen, ist auf jeden Fall dagegen vorzugehen, unter den oben genannten Bedingungen dürfte dies erfolgreich sein.“
Gestern abend war dann aber unter www.lawblog.de eine etwas andere Einschätzung von Dominik Boecker zu lesen:
Die Konstellation ist also für die Betroffenen leider nicht so einfach und so risikolos, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Gerichte sind an die Markeneintragung auch im Falle einer bösgläubigen Eintragung gebunden. Man erinnere sich nur an die diversen “Explorerâ€-Verfahren, die viele Leute eine Stange Geld gekostet haben. Ich kann mir auch jetzt (bedauerlicherweise) vorstellen, dass Virtualdub eine Menge Geld von Personen kosten wird, die lediglich die Homepage von Avery Lee verlinkt haben. So einfach kann also nicht Entwarnung gegeben werden.
Zum einen scheint sich wieder mal die alte Weisheit zu bestätigen: Frage zwei „Experten“ und du bekommst zwei Meinungen 🙁
Und zum anderen frage ich mich natürlich: Welche Einschätzung stimmt denn nun?
Ich hoffe jedenfalls, dass die von Golem verbreitete Einschätzung die „richtige“ ist – und das nicht nur im Interesse der abgemahnten Webseitenbetreiber…:evil:
Nachtrag 22.08.06, 23:30 Uhr:
Nachzutragen ist noch eine weitere Einschätzung, die am 18.08.06 bei www.heise.de zu lesen war:
Der auf Markenrecht spezialisierte Rechtsanwalt Martin Jaschinski aus der Berliner Kanzlei JBB Rechtsanwälte sagte auf Anfrage von heise online, es spreche einiges dafür, dass es sich hier um eine so genannte „böswillige Markenanmeldung“ handle. Deshalb könne jedermann mit Aussicht auf Erfolg beim DPMA einen Antrag auf Löschung der Wortmarke aus dem DPMA-Register stellen. Zudem genieße der Hersteller der Software „Virtual Dub“ aller Voraussicht nach für den Softwarenamen auch in Deutschland einen so genannten „Werktitelschutz“, der älter und damit höher priorisiert sei. Treffe dies zu, sei eine vom Hersteller gewollte Verlinkung auf dessen Website unproblematisch.
„Die Empfänger von solchen Abmahnungen sollten sich entspannt zurücklehnen. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass der Markeninhaber in dem einen oder anderen Fall zunächst eine einstweilige Verfügung erwirkt. Falls er auf Widerstand trifft, wird er aber auf Dauer mit seiner Masche höchstwahrscheinlich keinen Erfolg haben. Wer lieber aktiv werden will, kann auch mit Gegenabmahnung und Androhung einer negativen Feststellungsklage reagieren“, erläuterte Jaschinski. Völlig unklar sei auch, welcher Schaden durch die Verlinkung der Virtual-Dub-Homepage entstanden sein könne. Aus der Abmahnung gehe das nicht hervor. Vielmehr wirke der geltend gemachte Schaden als völlig „aus der Luft gegriffen“.
Ansonsten hat Dominic Boecker (Autor des oben zitierten Artikels im lawblog) per Kommentar verdeutlicht, dass seine Ãœberlegungen „auch kein Grund zur zu großen Sorge“ sein sollten.
Ich habe da jedenfalls weiterhin „Restzweifel“ und hoffe jetzt einfach mal, dass diese Posse in Kürze mit einem „Hat sich erledigt!“ abgeschlossen werden kann.