Vor zwei Wochen hatte ich im Urlaub an der Oststee die Gelegenheit, den „Koloss von Prora“ zu besuchen. Dabei handelt es sich um einen 1938 gebauten Gebäudekomplex von etwa 4,5 km Länge – im „KdF Seebad“ sollten auf Rügen bis zu 20.000 Menschen zeitgleich Urlaub machen können.
Erstaunlich, wie düster ein Ort sein kann. Noch erstaunlicher: Mittlerweile werden Gebäudeteile in Luxus-Appartments umgebaut und eher lautstark vermarktet. Und ich frage mich: Geht das?
Die Anlage wurde erst nach dem zweiten Weltkrieg durch die NVA (quasi) fertiggestellt und intensiv genutzt – weniger eigenwillig oder eher noch weniger gruselig wurde die Atmosphäre dadurch aber nicht, wie man auch in den Räumen feststellen kann, die die KulturKunststatt als Museum zu verschiedenen Themen (eben auch zum Thema NVA) eingerichtet hat…
Eher durch Zufall stiess ich dann auf eine Anzeige bei Immobilienscout, bei der eine „3 Zimmer Etagenwohnung zum Kauf in Binz OT Prora mit 82,04 qm“ für 272.510,00 EUR angeboten wird:
Bei der hier angebotenen Eigentumswohnung handelt es sich um eine der größeren, in der gerade neu erblühenden Residenz „Meersinfonie“ im denkmalgeschützten Gebäudekomplex Binzprora, welches bereits in den Jahren 1936 bis 1939 erbaut wurde. In der ersten Bauphase entstehen hier im Block 2/ Aufgang Aurum 29 Wohnungen und ein Ladengeschäft, die im gehobenen Standard ausgebaut werden und überwiegend über einen unverbaubaren Meerblick verfügen. Das Projekt ist so einzigartig, dass es internationale Aufmerksamkeit bekommen hat und wird. Auf der Meerseite werden die Wohnungen mit Balkonen erweitert bzw großzügige Terrassen erschaffen. […] Einen Teil des Kaufpreises können Sie über die Denkmalabschreibung steuerlich geltend machen.
Schnell gelangte ich dann auch zur zugehörigen Website Binzprora.de – den einzigen Hinweis auf die spezielle Geschichte der Gebäude fand ich unter „Binzprora / Historie“:
Durch seine idyllische Lage wurde Binzprora in den 1930er Jahren als Standort für das KdF-Bad Prora ausgewählt, ein vollständiger Ausbau wurde jedoch durch den Krieg verhindert.
In der Folgezeit diente Binzprora unter anderem als Ferienheim für hohe Militärangehörige der DDR. Dass die Örtlichkeit für die normale Bevölkerung nicht zugänglich war, trug erheblich zur Schaffung des „Mythos` Prora“ bei.
Auf der Startseite fand ich dazu allerdings… nichts, ausser eine Carousel-Bildergalerie verschiedener Motive, u.a. des folgenden.
Nun gibt es dort seit letztem Jahr eine Jugendherberge, eigentlich gar nicht so weit entfernt von der vorgenannten Immobilienvermarktung. Aber die zentrale Fragen, die ich mir stelle, und bei der ich mir mehr als unsicher bin, bleibt doch:
Kann man eine NS-Immobilie oder besser Bausünde überhaupt irgendwann derart nutzen und vermarkten? Werden wir irgendwann auch eine Jugendherberge oder ein Hotel in der Ordensburg Vogelsang vorfinden? Ist die Geschichte eines Gebäudes 70 Jahre nach der Planung und Fertigstellung noch relevant oder verjährt sie irgendwann? Gibt es eine Halbwertzeit für solche Bausünden? Und wie lang ist sie?
Ich bin mehr als unsicher. Und bin auf Eure Meinungen gespannt!!
Und als P.S. hier noch ein selbstgedrehtes „Ãœberflugvideo“ über das 18 Meter lange Modell des Koloss von Prora …
Der Trend geht dahin, siehe beim Luftgaukommando aka US-headquarter … in dem ich auch schon öfter drehte http://www.modernruins.de/index.php?option=com_content&view=article&id=156&Itemid=254
Ich kann das selber nicht objektiv sehen, da ich berufsbedingt natürlich an der Erhaltung von zeitgenössischer Architektur interessiert bin, egal was sie für einen geschichtlichen Hintergrund hat. Wir können und sollten Geschichte nicht auslöschen indem wir typische Bauwerke abreissen… wie z.B. den Palast der Republik oder die Reichskanzlei.
Andererseits finde ich es genau richtig, wenn aus diesem schrecklichen Bau in Prora, den ich noch von früher kenne, schöne Eigentumswohnungen mit Seeblick werden, wie man es auf dem Entwurf sehen kann, da es für die Region toll ist und man nicht noch mehr Bauruinen, die nur verfallen, im Osten braucht.
Du siehst, ich bin mir absolut uneinig, aber neige eher zu den Eigentumswohnungen als (aber nur im Fall von Prora) zu einem Nazibau, den die falschen Leute vielleicht weiter verherrlichen könnten. (btw: das Ding ist wirklich einfach nur ein hässlicher Kolloss , durch die Nachkriegsnutzung.)
Bin grundsätzlich auch für den Erhalt solcher Bauwerke, sofern irgend möglich – speziell in Berlin ist ja auch noch einiges erhalten. Und auch wenn ein mehr als schales Bauchgefühl bleibt, wäre es auch irgendwie dämlich, so etwas wie Prora in der Lage ungenutzt stehen und verrotten zu lassen.
Finde es jedenfalls irgendwie beruhigend, dass ich da nicht der einzige mit ambivalenten Gefühlen bin…
Wo unser Finanzministerium in Berlin sitzt weißt du? Auch nicht unbedingt die besten Voraussetzungen…
http://de.wikipedia.org/wiki/Detlev-Rohwedder-Haus
Ja, ich weiß…
Prora haben wir uns vor zwei Jahren auch angesehen. Die Atmosphäre ist tatsächlich sehr morbid. Wir haben an einem der Gebäude eine offene (weil eingetretene) Tür gefunden und waren deshalb auch mal drin. Gruseliger geht es kaum.
In Prora gibt es aber die erschwerende Besonderheit, dass es sich bei dem Koloss um ein denkmalgeschütztes Gebäude handelt. Es darf also nicht abgerissen werden, um Platz für etwas Neues zu machen. Dafür hätten sich bei der Lage direkt an diesem (tatsächlich ziemlich schönen) Strand sicherlich schnell Investoren gefunden.
Die Frage ist dann eben, was man mit so einem nicht abreißbaren, vor sich hin rottenden Gebäude macht, für dessen Erhaltung keine Gemeinde oder sonstiger Träger das Geld hat.
Ich finde deshalb die Neunutzung hier absolut in Ordnung. Sie kann das Gebäude dann auch von der Aura der – nur beabsichtigten – Nutzung in der einen und der tatsächlichen in der anderen Diktatur befreien. So, wie es die Jugendherberge, die in einem Teil des Gebäudes schon eröffnet hat, es ja auch tut.