Irgendwie schmerzt sie immer noch ein wenig, die gestrige Niederlage im Halbfinale gegen Italien. Und nach dem Doppelschock in den letzten zwei Minuten des Spiels kann ich noch mehr mit den Australiern fühlen, die nach einem mehr oder weniger ausgeglichenen Spiel doch noch in letzter Minute gegen Italien verloren haben. Ohne jede Objektivität hätte ich mir den Einzug der Deutschen ins Finale gewünscht, aber die Italiener waren einfach besser, glücklicher oder was auch immer. Scheinbar ist ein Deutscher Papst, aber sein Vorgesetzter ein Italiener 🙄
Aber das kann und soll die Leistung der deutschen Mannschaft nicht schmälern. Nach all den Jahren des „Stehfußballs“ und des häufig unansehnlichen Spielstils haben sie diesmal wirklich guten und „erfolgreichen“ Fußball gespielt.
Noch vor einem Monat hätten wohl nur ausgewachsene Optimisten ernsthaft auf den Einzug ins Achtel- oder Viertelfinale getippt. Und dann das: Angeführt von einem Schwaben, der wo scheinbar wirklich weiß, wie man aus einer Gruppe von Spielern mit sehr unterschiedlichen Charakteren und Erfahrungen eine kompakte und „reife“ Mannschaft formt, zieht sie ins Halbfinale ein und zählt somit aktuell zu den vier besten Mannschaften der Welt – und das z.B. vor England, Argentinien und Brasilien 😉
Insofern kann ich – wenn auch als ausgewiesener Laie – nur meinen Respekt und Glückwunsch zu dieser beeindruckenden Leistung aussprechen: Danke Jungs, ihr habt uns über drei Wochen lang träumen lassen. Und schließlich ist es nicht mehr lange hin bis zur EM 2008 😈
Fast noch bemerkenswerter finde ich aber die „gefühlte“ atmosphärische Veränderung in diesem Land, die offenbar durch die WM und irgendwie auch durch unsere Mannschaft sichtbar geworden ist.
Ich muß gestehen, dass ich nie gedacht hätte, mal eine Fahne zu kaufen, geschweige denn, sie in den Schirmständer, an unser Auto oder in unser Blog zu packen. Aber scheinbar war diese Veranstaltung ein „Katalysator“, um endlich den Ballast der Vergangenheit abzuwerfen und endlich entspannt mit den eigenen Symbolen umzugehen. Ich schrecke in diesem Zusammenhang zwar etwas vor dem Wort „Nationalstolz“ zurück, über das ich im (ansonsten wirklich lesenswerten) Artikel von Robert unter www.basicthinking.de/blog gestolpert bin (ebenfalls lesenswerte „Gegenrede“ bei www.silkester.de/blog). Denn hier klingt – zumindest in meinem Kopf – immer noch ein wenig der alte Chauvinismus mit, eine Nation sei besser als die andere. Und das war – bei allen „Vorurteilen“ über Wohnwagen, das Essen von Froschschenkeln oder der Umgang mit gestohlenen Autos – immer der falsche Denkansatz und ist erfreulicherweise auf einem mehr als absteigenden Ast.
Dennoch spielt hier möglicherweise der Begriff „Stolz“ eine wichtige Rolle, wenn auch in einem anderen Sinne. Noch heute erinnere ich mich an ein Zitat aus einer Rede von Maggie Thatcher (in den 80ern vermute ich): „Proud to be british“. Ich weiß, dass ich als Deutscher einen ähnlichen „deutschen“ Satz selbst in den 90ern nicht über die Lippe gebracht hätte – zu sehr hätte das für mich im Widerspruch mit dem dunklen Kapitel des Dritten Reichs gestanden.
Ich erinnere mich aber auch, dass ich diese Einschränkung stets bedauert habe, denn ich fand schon immer, dass man stolz sein kann, Bürger und somit Teil eines Landes zu sein, das wirklich demokratisch ist, das so „gleichberechtigt“ ist, dass mittlerweile sogar ein weiblicher Regierungschef möglich ist, in dem es ein nach wie vor ein funktionierendes soziales Netz gib und in dem es nicht nur verbriefte Grundrechte gibt, sondern auch ein funktionierendes Modell der Gewaltenteilung, dass zur Einhaltung dieser Grundrechte beiträgt – alles Aspekte unseres Lebens, die nichts mehr mit der Bürde der Vergangenheit zu tun haben. Und bevor hier nun die kritischen Kommentare aufschlagen („Was z.B. ist denn mit Hartz IV“, etc.), sollte man nicht vergessen, dass die Rahmen- und Lebensbedingungen, die wir hier in Deutschland vorfinden, viele Stockwerke über den Möglichkeiten angesiedelt sind, die Bürger anderer Länder haben – und das nicht nur in Ländern der dritten Welt.
Mir scheint jedenfalls die Zeit reif zu sein, um ohne irgendwelche politischen, rassistischen oder nationalistischen Hintergrund sagen zu können: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ – oder eben „Proud to be german“. Und die Tatsache, dass diese WM zu einem wahren „Fest der Völker“ ohne den ausgesprochen schalen Beigeschmack der Filme von Leni Riefenstahl geworden ist, bei der sogar ein im Vorfeld schwerbelastetes Halbfinal-Spiel gegen Italien ohne nennenswerte Konflikte auf oder neben dem Platz möglich war, bestärkt mich in diesem Gedanken. Ich freue mich jedenfalls, dass ich um mich herum immer noch genau so viele Fahnen sehe wie gestern nachmittag – und hoffe, dass es bis zum Finale so bleibt.
Und nun sollten wir – trotz oder gerade wegen allem – die Italiener im Finale anfeuern. Denn schließlich können wir eigentlich nur vom künftigen Weltmeister besiegt worden sein 😉
Nachtrag 07.07.06, 09:45 Uhr:
Ãœber Robert (www.basicthinking.de/blog[2]) bin ich noch auf einen empfehlenswerten Artikel über „die Sache mit dem Nationalstolz“ gestossen, in dem vielleicht noch etwas deutlicher wird, warum und auf was „wir“ stolz sein könnten (siehe auch www.endl.de):
Ich will hier keinen neuen Nationalismus, ich will eine differenzierte Sichtweise darauf, dass Zugehörigkeitsgefühl und ein daraus abgeleiteter “Stolz†nicht nur Schattenseiten sondern auch viel Positives hat. Es ist schwierig, den Stolz zu kanalisieren, so zu kanalisieren, dass keiner der oben beschriebenen negativen Effekte entwickelt wird (â€sich überhebenâ€) – aber das sollte ja nicht entmutigen, nur weil es schwer ist.
Stolz impliziert das Fokusieren auf positives und damit beinhaltet es immer auch ein wenig das „Besser-Als“-Gefühl. Ich endeckte mein Zufriedenheit eine Deutsche zu sein, als ich 1986 von einem mehrmonatigen Aufenthalt von Großbritannien zurück kam und ich beobachtet hatte, wie sich Akademiker und Geschäftsführer dafür entschuldigten nur auf einer normalen Universität gewesen zu sein. Wie Eltern ihr Vermögen und das Ihrer Großeltern dafür aufwendeten, ihre Kinder auf Eliteschulen zu bringen.
Ich war froh, dass Eliteschulen keine so große Rolle in meinem Land spielten. Und es nie zur Vorstellung einer der Topmanager von Rollsroyce gehört hätte darauf zu verweisen, dass er „nur“ auf einer normalen Universität war. Deutschland ist nicht frei vom Kastendenken, aber freier als die Briten. Darüber bin ich froh, denn wäre ich in Großbritannien aufgewachsen, hätte ich vermutlich diese Prägung erhalten.
Ich kann die Geschichte nicht ändern. Ich kann wenig zur Gegenwart beitragen und um meine Worte für die Zukunft einen Unterschied machen ist auch recht fraglich. Aber Versuchen sollte ich doch, meine Perspektive zu transportieren und Nationalstolz ist ein Instrument der Macht, das schon oft missbraucht wurde. Dies lehrt uns unter anderem unsere Geschichte.
„Nationalstolz“ — das sollte unsere Nation vor allen anderen am besten wissen kann ebenso wie die Religion dazu verwendet werden, Menschen zu einen und als Motivation für einen Kampf gegen andere Völker eingesetzt werden.
Wir sollten mit dem Nationalstolz vorsichtig sein und genau prüfen, ob und wann wir jubeln unseren Nationalstolz zur Schau tragen zu „dürfen“. Ich sehe darin nichts bewegendes und begrüße es nicht, denn es taugt nicht wirklich für ein besseres Zusammenleben der Nationen.
Ich muss gestehen, dass es mir nicht unbedingt um den Begriff „Stolz“ geht, sondern eher um das „Bekenntnis“ zum eigenen Land und zur eigenen Gesellschaft.
Ob es nun ein Begriff wie „Zufriedenheit“ oder aber eine Aussage wie „Ich bin gerne Deutscher, weil ich das, für daß dieses Land steht, für gut halte“ ist – letztendlich geht es mir um genau dieses Bekenntnis. Die Anlehnung an das Thatcher-Zitat war dann eher „dramaturgischer“ Art – und wenn ich nochmal genau nachdenke, könnte dieses Zitat auch im Umfeld des Falkland-Krieges gefallen sein und passt dann noch weniger zu dem, was ich eigentlich meinte.
Einen kritischen Blick auf einen Nationalstolz und seine Artverwandten halte ich ebenfalls für sehr wichtig, weil eine solche Haltung immer auch die Gefahr eines Überlegenheits-Gefühls birgt.
Nichtsdestotrotz scheint mir, dass „wir Deutsche“ jetzt eine Chance haben, uns über den Umgang mit uns als (wiedervereinigtem) Land, als Gesellschaft und eben auch mit unseren „Symbolen“ klarzuwerden. Ich kann mich nicht erinnern, je so viele Artikel, Kommentare und Glossen über den Umgang mit der Deutschlandfahne gelesen zu haben wie in den letzten vier Wochen. Und das scheint mir ein guter Startpunkt einer solchen Auseinandersetzung zu sein.
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