Schreiben ist Silber, Lesen ist Gold

von Stefan Evertz am 17.09.06 um 16:57 Uhr |

Seit vielen Jahren mache ich immer wieder die Beobachtung:

Menschen können offenbar weit besser schreiben als lesen.

Da wären z.B. Blogbesucher, die trotz des Hinweises beim Kontaktformular im Impressum Anfragen schicken, ob ich noch Einladungen für Gmail bzw. Googlemail hätte (Nein, habe ich nicht!). Und bevor jetzt Kommentare kommen, dass das nicht deutlich genug formuliert wäre: Ich habe – auch bei anderen Projekten und in anderen Kontexten – schon so ziemlich alle denkbaren Hinweis-Varianten ausprobiert. Es nutzt nichts. Die Anfragen kamen und werden weiter kommen. Garantiert.

Bemerkenswert finde ich dabei auch die Tatsache, dass sich diese Leser zwar teilweise die Mühe machen, im Formular (unaufgefordert) persönliche Daten zu nennen, aber offenbar nicht darüber nachdenken, ob diese Mühe überhaupt nötig oder sinnvoll ist – und ob ich wirklich so vertrauenswürdig bin, diese Daten nicht zu mißbrauchen. Einem „fremden“ Blogbetreiber würde ich persönlich jedenfalls nicht soviele Vorschuß-Lorbeeren gewähren und in jedem Fall genau lesen, was da so rund um ein solches Formular steht.

Andere Konsequenzen dieses „Nicht-Lesens“ äußern sich darin, dass mir Leser Fragen stellen (z.B. zu Software), die in aller Regel durch das Lesen des Handbuchs bzw. die lesende Recherche der fast immer verfügbaren Support-Foren gelöst werden könnten. Von durchaus ähnlichen Erfahrungen berichtet z.B. Jörg Petermann unter www.einfach-persoenlich.de:

Ein Internet-Besucher war auf eine meiner Seiten gestoßen. Auf der Suche nach Support einer Herstellerfirma hatte er niemand mehr erreicht. Einzig meine Internet-Seite schaute Vertrauen erweckend aus. Soweit der erfreuliche Teil.

Echt kurios mutete seine Bitte an, ihm bei Produkt xxx in der Detailfrage yyy sofort und spontan helfen zu können. Auf die Idee, dass mir dies nicht möglich sein könnte, war der Anrufer gar nicht gekommen. Immerhin habe ich ja eine Website, die sich mit dem Thema beschäftigt.

Neben der Tatsache, dass es offenbar bequemer ist, eine neue Anfrage zu schreiben (oder in Jörgs Fall zum Telefon zu greifen) als vorher die entsprechenden „Nachschlagewerke“ zu nutzen, bestechen dabei auch die Nehmer-Qualitäten der Leser. Genommen wird weit lieber als gegeben – und sei es nur ein kurzes „Dankeschön“ (siehe auch „E-Mails und Kommunikation nach Watzlawick„). Nicht alle handhaben dies so konsequent wie Robert Basic – jedenfalls noch nicht (siehe auch www.basicthinking.de/blog; Artikel zur Zeit leider offline):

Du bekommst eine Mail mit irgendeiner Nachfrage, wie etwas geht. Sei es technisch bezogen oder etwas zum Blogmarketing. Du schreibst artig zurück und es kommt nicht mal ein “Danke” zurück, nicht einmal, wenn ich Depp nochmals hinmaile und frage, ob die Antwort hilfreich bzw. verständlich war. Die Pest! Konsequenz: Man antwortet immer seltener auf solche Anfragen, also zum Leidwesen derer, die wissen, was Höflichkeit bedeutet. Mittlerweile gehe ich bei besonders langen Anfragen dazu über, auf WordPress.de zu verweisen. Da wird einem super geholfen und Dritte haben auch was davon (Nachschlagewerk…).

Auf den wohl deutlichsten Beleg für die menschliche Unfähigkeit, erst zu lesen und erst dann zu schreiben bzw. sich äußern, bin ich allerdings erst in den letzten Tagen gestossen. Im Zusammenhang mit der aufflammenden Kritik aus der islamischen Welt an den Äußerungen des Papstes fand ich folgende Meldung unter www.tagesschau.de:

Der Chef des staatlichen Religionsamtes in der Türkei, Ali Bardakoglu, hat zugegeben, die umstrittene Rede von Papst Benedikt XVI. nicht vollständig gelesen zu haben. Seine scharfe Kritik am Papst habe er auf der Basis von Pressemeldungen über die Äußerungen von Benedikt formuliert, sagte Bardakoglu der Zeitung „Hürriyet“. Nun werde er sich den vollständigen Text aus dem Deutschen übersetzen lassen.

Ich weiß allerdings nicht, ob seine Stellungnahme anders ausgefallen wäre, wenn er sich vorher mit dem Original beschäftigt hätte. Aber das ist ein anderes Thema…

4 Gedanken zu „Schreiben ist Silber, Lesen ist Gold

  1. Kopfschüttler

    Ähm, ja also ich kann auch besser schreiben, als lesen.

    Aber es gibt noch eine Alternative: du könntest den ganz Unwilligen das Ganze doch auch VORLESEN! Telefonnummer rein (0900) und ab geht´s! 🙂

  2. Stefan Evertz Beitragsautor

    Ein ähnlicher Vorschlag kam drüben bei Jörg in der Tat auf – und würde sicherlich die „Lesebereitschaft“ fördern…

  3. futurbo

    Was Du schreibst stimmt ja auch nicht so ganz… Es sind ja nicht ALLE Gmail-Einladungen weg. Sondern nur Deine 😉 .
    Verweis doch auf die hier beschriebene Methode http://futurbo.com/archives/70 , das funktioniert wunderbar.
    Allerdings setzt das auch voraus, dass Deine „Leser“ den Hinweis wirklich lesen.

    Reden ist Schweigen, Silber ist Gold.

  4. Pingback: Umgang mit (Spam-)Kommentaren: Zwischenstand | hirnrinde.de

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