BarCampBerlin 3: Rückblick und Ausblick

von Stefan Evertz am 28.10.08 um 11:15 Uhr |

Vor 10 Tagen fand in Berlin mit dem BarCampBerlin3 das bisher größte BarCamp auf deutschem Boden statt – und es war toll und zugleich im besten Sinne „wie immer“. Teilnehmer, Orga-Team und auch die zahlreichen Partner des „Web 2.0“-Klassentreffens haben sich jedenfalls ein dickes Lob verdient!

Die Wahl des Ortes (Hauptstadtrepräsentanz der deutschen Telekom) erwies sich als nahezu perfekt. Gerade der große Eingangsbereich lud mit dezenter Musik zum Reden und Verweilen ein und bestach gerade während der Sessions durch seinen sakralen Charme:

Die Lounge hat die Stimmung einer Web 2.0-Kirche

Dabei war die riesige LED-Wand Twitterwall (36 Quadratmeter! siehe auch www.ict.de) ein durchaus elementarer Bestandteil der „kathedralen“ Atmosphäre (Das folgende Bild stammt von kleine_zauberfrau und steht unter einer CC-Lizenz):

Twitterwall in der Lounge beim BarCampBerlin3 - Bild: kleine_zauberfrau

Weitere Impressionen finden sich übrigens bei Flickr (aktuell knapp 1.000 Fotos) sowie bei ipernity (knapp 600 Fotos).

Die Akustik mancher Sessionräume war dann doch der einzige kleine Wermutstropfen – einige Messewände können dann doch nicht den Schall bremsen, der sich zwischen den Wänden und der Decke durchmogelt. Von Samstag auf Sonntag wurde aber auch hier von fleißigen Händen „kalibriert“ bzw. einige Leinwände, Beamer, etc. umgeräumt, so dass meines Erachtens die „Verständlichkeit“ der Sessions deutlich verbessert werden konnte.

Sessions
Insgesamt beobachte ich bei mir eine stetig abnehmende Teilnahme an Sessions. Das hängt aber definitiv nicht mit der immer wieder unterstellten schlechten bzw. sinkenden Qualität der Themen und Sessions bei BarCamps zusammen (siehe auch z.B. die wohl „bekannteste“ Kritik unter blogbar.de). Zwar gibt es hier sicher nicht nur Perlen, sondern manchmal auch „Konfektionsware“ und gelegentlich auch Werbemüll. Aber zum einen stimmen die Teilnehmer in aller Regel mit den Füßen ab – und gehen fast immer in die richtige Richtung… Und zum anderen steht es jedem Teilnehmer frei, selber ein Thema bzw. eine Session vorzuschlagen. An dem Punkt hat sich meines Erachtens etwaige Kritik ohnehin erledigt. Oder um das Fazit von Mitorganisator Tobias Kaufmann im offiziellen BarCampBerlin3-Blog (englisch) zu zitieren: YOU ARE BARCAMP!

Der Grund für die abnehmende Zahl der besuchten Sessions liegt bei mir aber ohnehin in der Tatsache, dass ich auf BarCamps auf immer mehr bekannte, aber eben auch neue Gesichter stosse – und ich immer häufiger in spannenden Gesprächen und Diskussionen abseits der Sessions „hängen bleibe“. Letztendlich ist es sogar genau dieser „Networking“-Teil, der mich auch nach mittlerweile 8 BarCamps immer noch durchs halbe Land reisen lässt 🙂

Durchaus interessant war jedenfalls die Session der Telekom über das „Open Development Projekt“ (developer.telekom.de), bei dem die „Öffnung einiger Sprach-, Messaging-, Authentifizierungsdienste“ über eine Web-API erprobt werden soll (siehe auch developer.telekom.de[2] sowie www.basicthinking.de/blog).

Die Tatsache, dass ein so grosser und starrer Konzern den Kontakt zur (Entwickler-)“Basis“ sucht, ist ja an sich schon vielversprechend. Und auch wenn der demonstrierte „ferngesteuerte“ Verbindungsaufbau zwischen zwei Anschlüssen noch nicht allzu spektakulär ist, wird sich zeigen, welches Potential und welche weiteren Möglichkeiten die Web-API noch zu bieten hat. Ich bin jedenfalls gespannt 😉

Ãœber eine eher gruselige Anwendung stolperte ich dann noch in einer Session über „Symbian S60 / Nokia„, in der auch der „Mobile Web Server“ von Nokia (mymobilesite.net) kurz erwähnt (und demonstriert) wurde. Dieser Server wird im Rahmen der „Nokia Beta Labs“ zur Verfügung gestellt und ermöglicht den Zugriff übers Web auf das eigene Nokia-Handy (Voraussetzungen: Das Handy ist online und der „Mobile Web Server“ ist installiert sowie aktiviert). Gruselig ist dabei die Möglichkeit, eine eingebaute Kamera „via Web“ auszulösen und somit ein Foto zu machen, ohne dass der Benutzer des Handies hier noch selber Hand anlegen muss.

Sofort drängte sich mir die Frage auf, ob es auch möglich ist, das Mikrofon des Mobiltelefons aus der Ferne zu aktivieren – und somit das Handy als Abhöreinrichtung zu benutzen. Scheinbar ist dies aktuell nicht der Fall – aber was nicht ist, kann ja noch werden… 👿

Natürlich kann man die Möglichkeit der Fernsteuerung auch anders einordnen (siehe auch www.scholt.org):

Ich meine aber schonmal irgendwo gelesen oder gehört zu haben das die Funktion zum ansteuern des Handymikrofons von allen Herstellern sowieso in der Handy Software eingebaut und auch teilweise von der Polizei schon genutzt wird. Dagegen ist der Webserver, den man erst installieren, starten und Benutzer mit Passwort anlegen muss ein tolles Feature.

Berichte und Ausblick
Grundsätzlich sei noch auf die beeindruckend lange (und immer noch wachsende) Liste von Berichten verwiesen; stellvertretend für viele lesenswerte Artikel seien aber zwei Texte hervorgehoben:

Jens Grochtdreis stellt unter grochtdreis.de/weblog fest, dass mit etwa 600 Teilnehmern offensichtlich die Schmerzgrenze erreicht wurde (so habe zumindest ich es wahrgenommen):

Die Anzahl der Teilnehmer war allerdings so enorm, daß man – unterstützt von der Wuchtigkeit des Gebäudes – keinen Ãœberblick bekommen konnte. Ich fühlte mich das erste Mal auf einem Barcamp fast verloren.

Und die von Jens beschriebenen Nebenwirkungen der „Amtsprache“ Englisch fand ich ebenfalls problematisch:

Natürlich ist es auch mal nett, einem Spanier oder Briten zuzuhören. Der hat möglicherweise eine andere Sichtweise auf das Medium. Aber der Austausch in einer fremden Sprache ist nicht jedermanns Sache. Das konnte man mal wieder beobachten. Einige Sessions wurden explizit als deutschsprachig angekündigt. Nur selten machte dies, wie bei rechtlichen Themen, Sinn. Und wenn dann die Existenz eines einzigen Zuhörers die anderen dreissig dazu nötigt, in Englisch radezubrechen, dann stört dies meist die Substanz der Session. Auf alle Fälle hemmt es Spontaneität.

Stefan Nitzsche wollte „nicht noch einen Bericht schreiben, der die Sessions lobt, die Akustik (zurecht) bemängelt oder das Catering als zu schmal bezeichnet.“ (siehe auch blog.nitzsche.info). Damit hat er „inhaltlich“ natürlich Recht, denn viele Aspekte sind bereits vielfach beschrieben und kommentiert worden. Andererseits ist meines Erachtens jeder Beitrag bzw. jedes Feedback ein weiterer kleiner Groschen in der virtuellen Lohntüte der OrganisatorInnen, die sich schließlich allesamt viele Stunden, Tage und Monate für die Veranstaltung engagiert haben – und das ehrenamtlich. Insofern war die im vorstehenden Artikel erkennbare Redundanz durchaus Absicht 😉

Vorbehaltlos anschließen kann ich mich aber Stefans Forderung nach einer zukunftsfähigen Weiterentwicklung des Veranstaltungs-Konzeptes – auch im Hinblick auf die Skalierbarkeit:

Und ist jetzt das BarCamp Berlin 3 deshalb schlecht gewesen? Nein. […] Nur weil es nicht mehr den Charme eines Garagen-Events besitzt, hat es nicht implizit an Qualität eingebüßt. […]

Und auch die Klage, dass das BarCamp-Konzept immer mehr zum Mainstream wird, ist unangebracht. Es durchläuft einfach die Evolution eines jeden erfolgreichen Konzepts. Erst ist es ein Geheimtipp (Charme inklusive), dann wird es Mainstream, bis es schließlich zuerst bei den Kennern uncool wird, und schließlich bei der gesamten Zielgruppe. Das ist nunmal der Lauf der Dinge.

Der gewachsene und gelernte Aufbau aus Anmeldung im Wiki, Vorstellungsrunde und Session-Wand ist zwar charmant, stößt aber bereits bei Teilnehmerzahlen wie denen des BarCamp Berlin 3 an seine Grenzen. Wie auch schon beim BarCamp Munich 2008 müssen straffere Organisation und gute Planung bieten, was reine Selbstorganisation bei einer großen Menge Teilnehmer in einem so kurzen Zeitraum und im Rahmen des unveränderten BarCamp-Konzepts nicht geschafft hätte.

Ich muss gestehen, dass ich auch 10 Tage nach Berlin (und über 1 Jahr nach den ersten veröffentlichten Ãœberlegungen zu einem SocialCamp) noch keine klare Vorstellung entwickeln konnte, wohin die konzeptionelle Reise für diese Veranstaltungsform gehen könnte und sollte – in jedem Fall glaube aber ich wie Stefan, dass hier noch Entwicklungsbedarf (und -potential) besteht.

Die weiter zunehmende Zahl an ThemenCamps (und der dahinter stehende Bedarf an einem Themen-Focus) könnte eine denkbare Richtung aufzeigen. Eine stärkere (Vor-)Strukturierung bzw. Moderation der BarCamps könnte ein anderer Ansatz sein. Und eine wesentlich stärkere Integration von BarCamp-Elementen in bestehende Konferenz- und Messe-Konzepte wäre sicherlich auch denkbar bzw. wünschenswert, um die Möglichkeiten zur Kommunikation und zum Wissensaustausch zu verbessern – auch wenn gerade hier Interessenskonflikte vorprogrammiert sein dürften (Stichwort: Vortragshonorare / Eintritt).

Aber eins bleibt abschließend festzuhalten: Das BarCampBerlin3 war gut – und auch „lehrreich“. Und wenn sich daraus neue, „verbesserte“ (Un-)konferenz-Ansätze ergeben sollten (oder zumindest eine Diskussion über die Weiterentwicklung beginnt), dann macht es das sogar noch besser. Möge die Grundsatzdiskussion also beginnen 😈

2 Gedanken zu „BarCampBerlin 3: Rückblick und Ausblick

  1. Jan Theofel

    Die Sprachdiskussion halte ich für einen sehr wichtigen Punkt. Wir hatten das auch beim Barcamp Klagenfurt mit etwa 6 Teilnehmern aus Italien insgesamt. So begrüßenswert die internaionale Vernetzung und Verständigung doch ist, so schade ist der Qualitätsverlust, den manche Sessions (und da schließe ich meine definitiv mit ein!) erleiden.

    Aus diesem Grund haben wir uns in Stuttgart damals entschieden auch das Wiki auf Deutsch aufzusetzen um möglichen ausländischen Gästen klar zu signalisieren, dass die „Amtssprache“ Deutsch ist.

  2. Stefan Evertz Beitragsautor

    @Jan: „Amtssprache“ klingt zwar hart (und irgendwie sehr deutsch), trifft es letztendlich aber schon ziemlich genau 🙄 Zumindest würde ich das für alle BarCamps in Deutschland ABGESEHEN vom BarCampBerlin3 feststellen – das Berliner BarCamp war ja von vorneherein als internationales bzw. europäisches BarCamü angelegt. Und als ganzes hat es m.E. auch gut funktioniert – die bis zu 100 englischsprachigen bzw. nicht deutschsprachigen Besucher dürften sich gut zurechtgefunden haben. Und im Sinne einer (grundsätzlich wünschenswerten und sinnvollen) internationalen Vernetzung geht es nur so.

    Ich persönlich habe die Veranstaltung im Vorfeld aber auch als ein (ziemlich großes) deutsches BarCamp gesehen bzw. wahrgenommen. Und in dem Zusammenhang bzw. aus diesem Blickwinkel heraus war die angesprochene Sprachthematik wirklich ein Problem.

    Ein ernstzunehmender Teil der oben beschriebenen Sprach-Irritation dürfte jedenfalls aus der aufklaffenden „Schere“ zwischen den beiden Ansätzen bzw. Erwartungshaltungen resultieren, die sich offenbar nur schwer in Einklang bringen lassen…

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