E-Mails und Kommunikation nach Watzlawick

von Stefan Evertz am 08.08.06 um 12:55 Uhr |

Als ich irgendwann Anfang der 90er das erste Mal mit dem ersten Axiom von Paul Watzlawick zu tun hatte („Du kannst nicht nicht kommunizieren“, siehe auch de.wikipedia.org), kam ich schnell zu der Einschätzung, dass diese „Regel“ nicht für Anrufbeantworter gilt. Denn jeder von uns hat schon einmal neben dem AB gestanden und gehört, wer da denn anruft – und je nachdem nahm man das Gespräch doch noch an oder eben nicht. Mit diesem Wissen im Hinterkopf konnte und kann so der Anrufer nie ganz sicher sein, ob der „Empfänger“ seines Anrufs nicht da ist oder einfach nicht mit ihm sprechen will.

Als dann 1994 bei mir die E-Mail als neues Kommunikationsmittel aufkam, musste ich irgendwann einräumen, das die Kommunikation per E-Mail möglicherweise eine weitere Ausnahme dieses Axioms darstellen könnte. Trotz aller (abschaltbaren) Lese- und Empfangsbestätigungen konnte man sich nie sicher sein, ob die Nachricht auch angekommen war. Auch die häufig beobachtete „Unfähigkeit“ mancher Benutzer, ihren Posteingang (und / oder ihren Arbeitsalltag) sinnvoll zu organisieren, mag dazu führen, dass irgendwie die Rückmeldung unter den Tisch fällt. Das „krasseste“ Beispiel hierfür dürfte wohl der Netscape Messenger-Posteingang einer Sekretärin an der Uni Essen gewesen sein, in dem etwa 5.000 E-Mails lagen – natürlich auch nicht per Backup gesichert… 🙄

Wirklich sicher über den vermuteten „Ausnahme-Charakter“ der E-Mail-Kommunikation wurde ich mir aber erst im letzten Jahr – mit Beginn des Bloggens. Schnell begann neben der „Kommentar-Kommunikation“ auch der Austausch per E-Mail mit anderen Bloggern und Website-Betreibern. Schließlich muß man nicht jeden Gedanken per Kommentar ins Netz blasen – gerade bei Anregungen oder Korrekturen ist meines Erachtens die E-Mail immer noch der „persönlichere“ und je nachdem auch weniger „aggressive“ Weg.

In vielen Fällen führten diese E-Mails zu guten persönlichen und häufig auch sehr konstruktiven Kontakten. Ohne die mailende Unterstützung aus verschiedenen Teilen des Landes z.B. wäre hier im Blog der Wechsel zu WordPress weitaus hakeliger geworden (übrigens: Danke, Thomas und Patrick!). Es gibt aber diverse „Fälle“, in denen auf E-Mails – „verlangt“ oder unverlangt – leider keine Rückmeldung folgte.

Nun kann man argumentieren: Warum ärgerst du dich, wenn du auf deinen „Spam“ keine Antwort erhältst? Und genau das ist das Eigenartige: Mehr als einmal habe ich erlebt, dass auf einen Hinweis oder eine Fehlermeldung prompt reagiert wurde – z.B. durch eine entsprechende Korrektur im Blog. Das ist wohl eine der Eigenheiten der Blogosphäre, dass jede kleine Veränderung technischer oder inhaltlicher Art sofort sichtbar ist. Aber warum reicht es dann nicht auch für eine Rückmeldung an mich – von einem „Danke“ mal abgesehen?

Und schon sind wir wieder beim Anrufbeantworter und der Frage, ob sich der Empfänger einer solchen E-Mail nicht mit mir austauschen kann – oder es nicht will. Und somit wäre auch für diesen Kommunikationskanal die Annahme von Watzlawick widerlegt. Schade eigentlich 🙁

8 Gedanken zu „E-Mails und Kommunikation nach Watzlawick

  1. DonKult

    Das sehe ich ein wenig anders, vielleicht ist die Kommunikation nicht eindeutig aber immerhin vorhanden:
    Bei deinem Beispiel mit dem Hinweis auf einen Fehler ist es sogar recht einfach Watzlawick zu sehen:
    Keine Reaktion lässt nur 2 Möglichkeiten zu:
    1. eMail verloren gegangen, z. B. im Spamordner. Da kommt keine Kommunikation mit dem eigentlich Empfänger zustande, etwa so, wie wenn man sich mit jemandem unterhalten will und der Ohrstöpsel im Ohr hat und einen nicht hört (vgl. WP:„Sobald zwei Personen sich gegenseitig wahrnehmen können“). Im Grunde könnte man aber auch dort hineindeuten, dass der Empfänger kommuniziert, dass er lieber eine wichtige eMail verpassen will als eine Spammail zu viel zu empfangen oder aber der Absender unfähig ist sich bemerkbar zu machen.
    2. eMail wurde empfangen aber es wurde nicht geantwortet. Auch hier ist keiner Antwort auch eine Antwort: Der Hinweis hat eine geringe Priorität erhalten. Die eine Antwort ist dabei eindeutig: Eine fortführen der Kommunikation wird nicht angestrebt. Warum dies genau geschieht können wir nicht erkennen, aber das ist auch normalerweise im richtigen Leben so, wenn jemand das Gespräch abbricht. (vgl. WP:„Störungen nach dem ersten Axiom“). Die halbe Reaktion (keine eMail aber Verbesserung) ordne ich ähnlich ein, da die Kommunikation nicht direkt läuft – ist in etwa wie wenn ich einen Tag später von einem Freund gesagt bekomme was der Empfänger antwortet.
    Es sind also überall Kommunikationen, sie werden nur (zu schnell) abgebrochen. Schade eigentlich 🙁

  2. Stefan Evertz Beitragsautor

    (Nachwuchsbedingt hat es leider etwas mit der Antwort gedauert)

    Genau in der Unsicherheit, welche der beiden Möglichkeiten („nicht angekommen“ / „nicht bereit, zu antworten“) zutreffen könnte, liegt meines Erachtens der Widerspruch zum Axiom von Watzlawick.

    Angesichts des Wissens, dass beide Varianten denkbar bzw. möglich sind, kann ich als „Sender“ in der Tat nicht eindeutig sagen, ob Kommunikation stattgefunden hat oder nicht bzw. ob eine der „Störungen“ aufgetreten ist.

    Möglicherweise hängen die beobachteten Phänomene aber auch mit der Tatsache zusammen, dass beide (technisch gestützten) Kommunikationsformen noch so „neu“ sind, dass sich hier noch keine klaren Regeln eingebürgert haben. Wenn in einem telefonischen Gespräch plötzlich die Leitung getrennt wird, kann ich als Gesprächsteilnehmer in aller Regel klar erkennen, ob dies technisch bedingt ist (Netz weg, Leitung gestört, etc.) oder aber mein Gesprächspartner schon vor dem abrupten Ende erkennen ließ, dass er das Gespräch nicht mehr fortsetzen will („wutentbrannt auflegen“).

    Letztendlich könnte man sogar über die Frage streiten, ob das reine Absenden einer E-Mail (oder ein „Auf-Band-sprechen“) bereits als Kommunikation eingestuft werden kann.

    Meines Erachtens ist dies der Fall, da eine Nachricht erfolgreich übermittelt werden konnte – sonst würde der Absender z.B. eine entsprechende (Fehler-)Meldung des Mailservers erhalten.

    Ob die Nachricht auch wirklich „verstanden“ wurde, kann und sollte hier allerdings keine Rolle spielen. Ansonsten würde wohl kaum noch Kommunikation stattfinden…

  3. DonKult

    Das versenden von eMails könnte man mit stiller Post vergleichen. Du musst nur sicherstellen, dass du die Nachricht richtig empfangen hast und gibst sie an die nächste Station weiter, was die nächste Station damit tut kannst du nicht beeinflussen. Kommuniziert hast du also, aber nur mit deiner nächsten Station.
    Absender -> Mailserver -> [weitere Mailserver] -> Mailserver -> Empfänger
    Ähnlich beim Anrufbeantworter.
    Beim Telefon kommunizierst du wenigstens noch halbwegs direkt. Du hörst (hoffentlich) deinen Gesprächspartner und umgekehrt. Dadurch schwingen gleich mehr Informationen mit wie z. B. der Tonfall. Auch kriegt man eine direkte Rückmeldung das man „verstanden“ wird – schon allein dadurch, dass immer nur einer redet und der andere zu hört.

    Das fehlen der Eindeutigkeit sehe ich aber nicht nur bei der eMail als Problem: Am Telefon z. B. wenn die Verbindung plötzlich abbricht: Entweder hat der andere Absichtlich das Telefonkabel gezogen oder er ist nur aus versehen darüber gefallen. Entweder wimmelt mich da einer mit der Ausage „Ich nur Putzfrau – ich nix verstehen“ ab oder er ist wirklich nur die Putzfrau (meine Oma sagt das immer bei „Telefonmarketing“).
    Wenn mich einer auf der Straße fragt: „Na, wie geht`s?“ Soll ich da dann wirklich antworten oder erwartet er die Antwort „Gut“ oder soll ich die Frage ignorieren, da sie nur zur Aufmerksamkeitsgewinnung gedient hat? Wenn ich das frage und der Angesprochene weitergeht, zeigt mir das Ablehnung oder doch nur das er taub ist?
    Das Problem der fehlenden Eindeutigkeit liegt für mich also allgemein bei kurzen Gesprächen.

    Das sollte sich ja übrigens auch bei der Kommunikation mit dem Nachwuchs bemerkbar machen, die anerkannter Weise ja sehr viel wichtig ist als der Gedankenaustausch mit Hobbytheoretikern in einem Blog 😉 :
    Kleinere Kinder zeigen ja gerne mit dem Finger auf alles Mögliche und stoßen dabei (für den Laien) immer den selben Buchstabenbrei aus. Eindeutig ist diese Art der Kommunikation sicher nicht – aber es wird doch sicher keiner behaupten wollen, dass die Kinder nicht mit einem kommunizieren?

  4. Stefan Evertz Beitragsautor

    Die Argumentationslinie deiner Oma gefällt mir – heikel wird es nur dann, wenn das Finanzamt oder die Krankenkasse am Telefon ist…

    Und im Hinblick auf die „stille Post“ bin ich etwas unsicher, ob das Sicherstellen, „dass du die Nachricht richtig empfangen hast“, nicht den Spielspaß raubt 😉

    Alles in allem steht und fällt die ganze Diskussion mit der Frage, was Kommunikation ist (ohne hier auch nur einen kürzeren Spaziergang im Minenfeld der Kommunikationswissenschaft wagen zu wollen).

    Daran schließt sich die Frage an: Wenn ich nicht sicher bin, ob die Kommunikation (im Sinne einer bestätigten Informationsübermittlung) stattgefunden hat, habe ich dann kommuniziert?

    Und bei näherer Betrachtung bin ich nach wie vor skeptisch, ob sich die Regeln und Bedingungen der „face to face“-Kommunikation auch auf die technisch gestützte Kommunikation übertragen lassen.

    Aber ein anregender Austausch zwischen Hobbytheoretikern ist es in jedem Fall. Und dein letzter Absatz lässt sich – unter Auslassung von „Kleinere Kinder – auf erschreckend viele Blogs übertragen 😉

  5. Pingback: hirnrinde.de

  6. Marce

    Hi,
    ich war gerade auf der Suche nach einigen Bespielen für Watzlawicks Theorie, als ich auf diese Internetseite gestoßen bin. Ich muss sagen, ich finde die Diskussion sehr interessant, allerdings stimme ich trotzdem voll mit Watzlawick überein:
    (vgl. Wikipedia)
    „Sobald zwei Personen sich gegenseitig wahrnehmen können, kommunizieren diese miteinander, da jedes Verhalten kommunikativen Charakter hat. Watzlawick versteht Verhalten jeder Art als Kommunikation. Da Verhalten kein Gegenteil hat, man sich also nicht nicht-verhalten kann, ist es auch unmöglich, nicht zu kommunizieren.“

    So, lest es euch ruhig zweimal durch. Das heißt nämlich, dass jedes Verhalten bereits Kommunikation ist, also kommuniziert man auch, wenn man sich so verhält, dass man nicht antwortet.
    Wie bereits in anderen Kommentaren zum Ausdruck kam kann man auch bei der „herkömmlichen“ Kommunikation nicht immer eindeutig feststellen, ob Kommunikation stattgefunden hat oder nicht, in dem man nicht weiß, ob der andere einen wahrgenommen hat.
    Bei e-Mails wird die Kommunikation nur auseinander gezogen. Bei einem herkömmlichen Brief treten aber die selben Probleme auf, es liegt also nicht an der E-Mail.

    Ob jetzt Kommunikation stattgefunden hat oder nicht ist natürlich so eine Sache beim Brief oder beim Anrufbeatworter, aber Watzlawick sagt: „Sobald zwei Personen sich gegenseitig wahrnehmen können…“, das heißt für mich, wenn Person A Person B wahrnimmt, aber Person B Person A nicht, findet keine Kommunikation statt. Ob das die Person A weiß ist eine andere Frage. Wenn ich durch die Stadt gehe und jemanden ansehe und ihm zulächle, aber er mich (meiner meinung nach) ignoriert weiß ich das genausowenig sicher, ob er mich nicht sehen wollte oder mich nicht gesehen hat.

  7. Stefan Evertz Beitragsautor

    Mit dem ersten Teil des Watzlawick-Zitats in der Wikipedia habe ich so meine Probleme. In der mir vorliegenden Ausgabe des entsprechenden Buchs habe ich nämlich genau diesen Teil nicht finden können („Sobald zwei Personen sich gegenseitig wahrnehmen können“). Nun mag das an der Ausgabe liegen (1993) oder aber an einer Weiterentwicklung des Axioms, die mir entgangen ist.

    Letztendlich läuft es aber auf die Erkenntnis hinaus, dass das Axiom von Watzlawick nur bei persönlicher bzw. Face-to-Face-Kommunikation anwendbar ist, da jedwede technisch vermittelte Kommunikation (AB, E-Mail, Brief) immer das Risiko der „Nicht-Kommunikation“ birgt. Und dabei haben wir die extrem komplexe Frage, was denn eigentlich Kommunikation ist, noch nicht mal ansatzweise ausgeleuchtet…

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